Für alle:
Zeichnen Sie eine Karte von Friedrichshafen.
Wo ist das Herz der Stadt?
Wo ist das Zentrum?
Wo ist der leidenschaftlichste Ort?
Einige Aufgaben: Suchen Sie sich eine davon aus.
Briefing # 1:
Am See treffe ich Jens. Seine Frau arbeitet in der Bibliothek. Wir kommen ins Gespräch über Friedrichshafen und den Umbau der Stadt im Zeitalter der Massenkreativität. Jens erzählt mir von seinem Schwiegervater: Der hat bei ZF oder einer dieser großen Betriebe gearbeitet. Zuhause hat er einen Schuppen voller Schrott. Als ein Grill fehlt, baut er eine alte kaputte Waschmaschine zu einem Grill um. Jens ist begeistert von dem neuen Gerät – extrem groß und derart praktisch – den muss man gesehen haben! Und alles ausschließlich aus Schrott gebaut. Jens ist beeindruckt.
Kennen Sie auch jemand, der eine Alltagserfindung gemacht hat? Beschreiben Sie den Menschen und sein Produkt. Könnte diese Person ihr Wissen, ihre Idee, in einem 10 Minutenvortrag vorstellen?
Briefing # 2:
Europa, 15 Jahre nach dem 2. Weltkrieg: Die Produktion funktioniert wieder, keyneseyanische Wirtschaftspolitik und die Verbreitung des Autos lassen die Vorstädte wachsen, Arbeit ist ohne Ende da und produziert Wohlstand und Reichtum, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Der Kapitalismus entfaltet auf beeindruckende Weise seine Kräfte.
Doch einige junge Leute langweilen sich zu Tode: Trotz Wohlstand wird das Leben fad, der Rhytmus von Arbeit, Schlafen und dem Verkehr dazwischen ist ihnen zu öde und reduziert die Stadt, das Leben auf ein Anhängsel eines omnipotenten Produktionsapparats. Paris, die Stadt der Boheme und der Revolte, wird zum Sammelbecken der Unzufriedenen. Ein junger Mann schreibt sich einen Slogan auf seine Hose: Ne travaillez jamais – Arbeite nie! Wie, fragen sich einige, kann man dieser Ordnung entkommen? Dem totalen Zugriff des Warencharakters, der sich über alle Gegenstände und menschlichen Beziehungen zu legen scheint, entkommen? Die Situationisten entwickeln das derive – die Technik des Umherschweifens. Sie überlegen sich Spiele, um aus der Ordnung des Alltags auszubrechen: per Flaschendrehen an jeder Kreuzung die Richtung wechseln. Dem psychologisch stärksten Sog folgen. 2 Wochen am Stück nie Zuhause schlafen. Sich verlaufen. Abenteuer erleben. In der Stadt die Nord-West-Passage ins Imaginäre finden.
In Friedrichshafen (in vielen Städten), lernt man oft nur Leute kennen aus der eigenen Branche, Szene, Studium, Beruf – oder auf der Suche nach einem Freund/Freundin, Flirt. Wir möchten, dass Sie ein anderes Abenteuer erleben: Lernen Sie jemand Neues kennen. Jemand, der nicht an der ZU studiert. Wie stellen Sie das an? Wo geht das in Friedrichshafen? Wo fangen Sie an? Und wen lernen Sie kennen?
Briefing # 3:
Auf der Suche nach Stoff fällt mir erstmals auf, dass es in Friedrichshafen kein Kaufhaus gibt. Dann bemerke ich die Welt der Einzelhändler: mehrere Läden für Stoff und Nähmaterial, ein Händler für Nähmaschinen mit einem Geschäft mit Blick auf den See – undenkbar in anderen Städte.
Beim OBI fragen wir einen Herren nach einer Makita. Die gäbe es in keinem Baumarkt zu kaufen, bekommen wir zur Antwort, und das habe nichts mit Ressentiments gegen fernöstliche Produkte zu tun. Eine wahre Aussage, denn wie wir später feststellen würden, spricht unser Mann neben Bosch – auch fließend Shaolin.
Und ist um so vieles fachkundiger, als jeder Baumarktverkäufer, den wir je in Hamburg getroffen habe, sodass er uns im Handumdrehen ein akkutechnisch aufeinander abgestimmtes Ensemble aus Bohrer, Säge, Schleifmaschine verkauft. Ausserdem weiß er sofort, welche Maschine ich mit der Bezeichnung “…dieses neue Wundergerät, das wie Butter senkrecht in Holzplatten reinschneiden kann” meine. Haben wir auch gleich mitgenommen.
Neugierig geworden, was wir mit dieser Boschfamilie eigentlich vorhätten zu tun, bekommt er ganz leuchtende Augen bei der Erwähnung unseres Seminarbauvorhabens George Bernhard Shaws drehbares Gartenhäuschen (siehe: Gesamtkonzept). Und bietet uns gleich noch praktische Hilfe an! Nett.
Zum Kauf des Damenrevolvers, eines winzigen Boschakkuschraubers mit einem eingebauten bit- & Spax-Set in Form einer Revolvertrommel, können wir uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht entscheiden. Dafür gelangen wir auf diesem Wege zum nächsten Gesprächsthema, nämlich dem durch unseren Verkäufer verhinderten Bankraub.
“Ich habe nur etwas relativ hartes in meinem Rücken gespürt, und da ging schon mein Arm raus. Das ging ganz automatisch, ohne Nachzudenken. Der lag sofort am Boden. Alles war voll Blut. Als die Polizei kam, sagten die: den können wir nicht verhaften, der hat den Kiefer gebrochen, der muss erstmal ins Krankenhaus. Aber man muss auch dazu sagen: Kampftraining, seit ich 8 Jahre alt bin. Rat mal was? Genau: Kung Fu. Und zwar nicht irgendeins, sondern Shaolin Kung Fu. Ich war ein Jahr lang im Kloster in China. Da gibt es mehr, als die Achte Kammer der Shaolin. Nämlich 17 Kammern.”
Haben Sie auch schon Einzelhändler oder Fachverkäufer in Friedrichshafen kennengelernt? Wie ist deren Sicht der Dinge? Und wie ließe sich das darstellen?
Briefing # 4:
Henri Lefebvre war genervt von der zunehmenden Kontrolle der Städte durch Industrie, Markt und Staat. Wo könnte eine Widerständigkeit stecken, gegen die Reduzierung des Alltagslebens auf pure Funktionalität? 1972 hält er eine Vorlesung und behauptet: die urbane Revolution geht vom Wohnraum aus. Denn nur hier, im übersehenen Bereich des Privaten, hätten sich Wünsche und Vorstellungen erhalten, hier sei die Sprengkraft des Imaginären verkapselt, die über das Zweckrationale hinausweist.
Gehen Sie in die Wohnung eines Freundes, Bekannten oder Fremden. Fotografieren Sie Gegenstände, die über das Funktionale (Nahrung, Schlafen, Arbeit) hinausgehen. Fotografieren Sie Gegenstände, mit denen sich etwas (materielles oder immaterielles) produzierenlässt.
Gibt es Gegenstände (Möbel, Bilder, Geräte….) die Sie an eine vergangene Epoche, eine vergangenes Jahrzehnt erinnern (oder erinnern sollen)? Welche Versprechen verbinden sich mit dieser Epoche? Drückt sich davon etwas in dem Gegenstand aus? Wie? Was ist mit diesen Versprechen passiert? Wurden sie erfüllt, verraten, verdrängt?
Briefing # 5:
Shamsher, Yashoda und Karim sitzen auf dem Boden des Cybermohalla Lab in Delhi. Nangeeta hat letzte Woche Fotos ihrer Strasse gemacht: alle 5 Schritte ein Bild der Wand ihrer Strasse, ganz stur, keine Personen, nur Wand, Spuren Dinge. Jeebesh hat hat zehn davon ausgesucht. Shamsher starrt auf die Fotos, die Anderen im Raum können die Bilder nicht sehen. Jeebesh fragt Shamsher, die Bilder zu beschreiben. Shamsher kriegt kein Wort raus. Jeebesh sagt: Ich sehe auf diesen Bildern sehr viele Menschen… Dann legt Shamsher los. Er spricht eine Dreiviertelstunde am Stück. Dringt in jede Ritze, jeden Gegenstand ein, decodiert das Vokabular der Stadt, des Viertels.
Würde das in den Strassen Friedrichshafens auch funktionieren? Falls nein, warum nicht? Aber was passiert, wenn Sie eine ähnliche Übung in einem halböffentlichen Raum – einem Laden oder Cafe machen? Beschreiben/Fotografieren Sie ganz genau, was Sie sehen: Was das Lokal sagen will. Wie kommuniziert es mit der Strasse? Wie wird Atmosphäre erzeugt? Was hören Sie? Belauschen Sie ein Gespräch und schreiben Sie den Dialog ganz genau mit….